Seidenstraße - Spiegel kultureller Kontakte

Seidenstraße - Spiegel kultureller Kontakte
Seidenstraße - Spiegel kultureller Kontakte
 
Eine der längsten und ältesten Handelsrouten, die die Verbindung zwischen dem Fernen Osten und den Mittelmeerländern herstellte, ist die Seidenstraße. Sie besteht eigentlich aus mehreren Routen. Der Name dieser weit reichenden Handelsverbindung wurde im vorigen Jahrhundert von dem deutschen Gelehrten Ferdinand von Richthofen geprägt, weil auf dieser Straße eines der wichtigsten Handelsgüter Chinas, die Seide, schon in vorchristlicher Zeit nach Westen geführt wurde. Obwohl das Bedürfnis nach Seidenstoffen offensichtlich nur bis zum 7. Jahrhundert n. Chr. aus dem Fernen Osten gestillt werden musste, da schon ab dieser Zeit Ost- und Westturkestan sowie der Iran eine eigene Seidenraupenzucht und Seidenweberei entwickelten, büßten die Straßen an Wichtigkeit nichts ein, da auf ihnen als einziger Landverbindung auch zahlreiche andere Handelsgüter von einer Region in die andere transportiert wurden. Dabei diente die Seidenstraße keineswegs ausschließlich als Handelsweg, sondern war gleichzeitig Verbindungselement unterschiedlichster Kulturen. Aus den Mittelmeerländern führte sie über Buchara, Samarkand nach Kaschgar - ein südlicher Zweig nach Balkh und Hotan - zog sich nördlich und südlich der Wüste Takla-Makan entlang und endete, Dunhuang berührend, in der chinesischen Kaiserstadt Xi'an(im Altertum Chang'an)..
 
Die frühesten und detailliertesten Informationen über die zentralasiatischen Stadtstaaten, die zu den zweifellos bedeutendsten Stationen dieses Karawanenweges zählten, sind den umfangreichen Annalenwerken der aufeinander folgenden chinesischen Dynastien zu entnehmen, die die historischen Ereignisse aufzeichneten - freilich nur dann, wenn die Chinesen selbst an Expansion oder Handel mit den Fremdvölkern interessiert waren.
 
Doch auch dem Westen gelang es, sich ein Bild der östlichen Welt zu verschaffen; der makedonische Kaufmann Maes beauftragte seine Gefolgsleute, die auf der Seidenstraße Handel trieben, ihm einen eingehenden Bericht über die östlichen Länder zu übermitteln und den Weg ins Land der Seide zu schildern. Diesen Bericht übergab Maes dem griechischen Geographen Marinos von Tyrus, der jedoch, da ihm für die Umsetzung des chinesischen Wegemaßes »li« jede Voraussetzung fehlte, die Länge des Weges und die Größe Zentralasiens nur ungenau berechnete. Die Berechnungen des Marinos und seine Karten sind verloren gegangen; sie sind jedoch bekannt geworden durch das Werk seines Nachfolgers, des großen Claudius Ptolemäus, der im 2. Jahrhundert n. Chr. im ägyptischen Alexandria lebte.
 
Die Seidenstraße wurde jedoch selten durchgehend genutzt. Die Oasen Zentralasiens zählten zu den größten und bedeutendsten Handelsumschlagplätzen, an denen Güter von einer Karawane auf die nächste übergingen, die sie dann zu ihrem jeweiligen Bestimmungsort brachten. Diese Karawansereien bildeten die Haupttrassen nicht nur nach China, sondern auch nach Kaschmir, Afghanistan und Indien.
 
Nicht nur wirtschaftliche, auch die unterschiedlichsten kulturellen Strömungen verbreiteten sich über die Seidenstraßen. So gelangten zusammen mit den Kaufleuten auch buddhistische Mönche aus dem nordöstlichen Indien in die damalige chinesische Hauptstadt Chang'an. Die ersten offiziellen Beziehungen zwischen Indien und China begannen um die Zeitenwende mit der Ankunft buddhistischer Mönche am chinesischen Kaiserhof.
 
Mit der Religion wanderte auch die religiöse buddhistische Kunst über die Seidenstraße nach Osten, denn der Buddhismus hat sich frühzeitig der Sprache der Kunst als eines Ausdrucks- und Verständigungsmittels bedient. Wo immer sich auf Betreiben der Missionare buddhistische Gemeinden bildeten, entstanden bald Klöster und Tempel, und es fanden sich gläubige Stifter, die die Sakralbauten zur Lobpreisung des Buddha und zum Erwerb eigenen religiösen Verdienstes mit Wandbildern und Skulpturen schmücken ließen.
 
Da buddhistische Mönche in aller Welt die Abgeschiedenheit und Ruhe lieben, wählen sie oft abgelegene Orte in Tälern und auf einsamen Höhen für die Errichtung ihrer Kultstätten. Die nahen Berge mit ihren wilden Seitenschluchtenentlang der Seidenstraße veranlassten die dortigen Buddhisten und ihre Förderer, Klosteranlagen in die Felswände zu schlagen. Die Höhlentempel waren über hölzerne Treppen zu erreichen. Hunderte solcher Höhlen sind bei den Expeditionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckt worden. In den Oasen, die nicht an Berghängen gelegen waren, bot sich dagegen die Errichtung freistehender Lehmziegeltempel an. Wo immer die Gemeinden beheimatet waren, lebten die Mönche in der Einsamkeit der Natur ihr religiöses Leben, erfüllt von der Lehre des Buddha. Allerdings waren sie durchaus nicht weltabgeschieden, denn sie lebten von den Gaben der Laien, zu denen auch die vorbeiziehenden Kaufleute gehörten, mit denen sie während der üblichen Almosengänge und bei der Entgegennahme von Spenden in Berührung kamen. In den Tempeln und Kultbauten vernahmen und rezitierten sie nicht nur vertraute Texte der heiligen Schriften, sondern übersetzten diese auch in andere Sprachen. Sie verehrten die in den Nischen stehenden Skulpturen und meditierten über den gemalten Szenen aus dem Leben des Buddha, die Wände und Gewölbe jedes Kultraumes schmückten.
 
Doch nicht nur Buddhisten, auch nestorianische Christen und Manichäer, verbreiteten ihre Kultur über die Seidenstraße. In der Uigurenhauptstadt Qocho und in deren Umgebung wurden kostbare Reste der Literatur der Manichäer, darunter auch die weltberühmten Buchillustrationen entdeckt. Dass solche Miniaturen überhaupt hier entstehen konnten, ist dem Umstand zu verdanken, dass im 8. Jahrhundert der uigurische Fürst Bugug Khan zum Manichäismus, einer aus dem westlichen Asien über die Seidenstraße vertriebenen Religion, konvertierte. Mani, der Stifter dieser Religion lebte am Anfang des dritten nachchristlichen Jahrhunderts im babylonischen Seleukeia-Ktesiphon. Er erschuf eine synkretistische Religion, die Elemente des Christentums, des Hinduismus, des Zoroastrismus und des Buddhismus enthielt. Von der zoroastrischen Priesterschaft im Iran, die um ihre Macht fürchtete, verfolgt, floh Mani nach Osten, konnte sich aber nicht retten und starb eines Märtyrertodes. Seine Anhänger folgten ihm und konnten in der Oase von Turfan die uigurische Oberschicht zu ihrem Glauben bekehren. Der im 10. Jahrhundert einsetzende Einfluss des Islams hat die alte, vielschichtige Kultur der Seidenstraße jedoch in Vergessenheit geraten lassen.
 
Die moderne Erforschung der Seidenstraße vollzog sich in einem Zeitraum von weniger als einem Jahrhundert und wurde auf ihrem Höhepunkt fast wie ein wissenschaftlicher Wettstreit zahlreicher Nationen ausgefochten. Engländer, Schweden, Russen, Deutsche, Franzosen und Japaner entsandten im 19. und 20. Jahrhundert Wissenschaftler, die die Relikte der Kulturen an der Seidenstraße studierten. Bis zum heutigen Tag ist die Erforschung des alten Karawanenweges nicht abgeschlossen, da russische Archäologen in ihrem westlichen und chinesische im östlichen Teil immer neue Kulturdenkmäler entdecken und bedeutende Funde zutage fördern. Die heutigen Aktivitäten an der Seidenstraße sind allerdings wesentlich weniger beschwerlich und kaum vergleichbar mit den abenteuerlichen Unternehmungen früherer Zeiten. Die geborgenen Zeugnisse einer verschollen geglaubten asiatischen Kultur wurden durch diesen Handelsweg wieder entdeckt, regional weit voneinander entfernte Kulturen konnten durch ihn verbunden werden.
 
Es waren wagemutige Reisen, die schon im letzten Jahrhundert von den Vertretern europäischer Geschäftsinteressen in Indien getragen wurden, die ihre wirtschaftlichen Verbindungen über die Seidenstraße nach Osten ausdehnen wollten. Dazu gehörte auch die bedeutende und einflussreiche britische East India Company. Zum Teil standen aber auch politische Interessen im Vordergrund, wie im Fall des zaristischen Russlands, das immer stärker nach Mittelasien expandierte. Mit der Expansion wuchs auch das Interesse an der Geschichte der eroberten Gebiete sowie der dort lebenden Menschen und deren Kulturen.
 
In den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts machte dann der schwedische Geograph Sven Hedin als einer der Ersten auf unter dem Wüstensand begrabene Ruinenstädte an der Seidenstraße aufmerksam. Nicht zuletzt von seinen Berichten inspiriert, bereitete der in britisch-indischen Diensten stehende gebürtige Ungar Mark Aurel Stein seine erste Forschungsreise in das Wüstengebiet vor. Sie führte ihn von Srinagar in Kaschmir aus nach Kaschgar. Hier folgte er der südlichen Abzweigung des alten Handelsweges nach Hotan. Seine Hauptaufgabe sah er in der Vermessung des Landes und der Aufnahme der Tempelanlagen, die er an der Südstraße entdeckt hatte. Neben beschrifteten Holztäfelchen aus dem 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. fand er in Miran die frühesten Wandmalereien, die an der Seidenstraße jemals zutage traten. In den folgenden Jahren entdeckten russische, französische und deutsche Archäologen große Mengen von Texten, die in den unterschiedlichsten Sprachen und Schriften verfasst waren, darunter auch Handschriften, deren Sprachen bis dahin unbekannt waren und daher erst entziffert werden mussten.
 
Die aus den Kultstätten entlang der Seidenstraße geborgenen Zeugnisse einer lange verschollenen asiatischen Kultur haben Generationen von Forschern beschäftigt, ihre wissenschaftliche Auswertung ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Vergegenwärtigt man sich die unzähligen Veröffentlichungen zu diesem Material, so erhebt sich unwillkürlich die Frage, wo die orientalische Forschung ohne die Funde aus dieser einzigartigen Kulturlandschaft im Herzen Asiens heute stünde.
 
Prof. Dr. Marianne Yaldiz

Universal-Lexikon. 2012.

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  • Seidenstraße — Sei|den|stra|ße 〈f. 19; unz.〉 alte Karawanenstraße von China durch Zentral nach Westasien, auf der bes. Seide ausgeführt wurde * * * Sei|den|stra|ße, die; [gepr. von dem dt. Geografen F. v. Richthofen (1833–1905) nach der wichtigsten Handelsware] …   Universal-Lexikon

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